M. Cattaruzza: L'Italia e il confine orientale 1866-2006

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Titel
L'Italia e il confine orientale 1866-2006.


Autor(en)
Cattaruzza, Marina
Erschienen
Bologna 2007: Il Mulino
Anzahl Seiten
379 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Pablo Crivelli

Das schöne Buch von Marina Cattaruzza, das es in wenigen Monaten schon zur dritten Auflage gebracht hat, kann bereits jetzt für jeden, der die italienische Geschichte nach der nationalstaatlichen Einigung vertiefen will, als Pflichtlektüre angesehen werden. Dies gilt um so mehr, als das Buch in flüssigem und elegantem Italienisch geschrieben ist sowie umfangreiche Sekundärliteratur erschliesst. Die italienische Geschichte wird durch das Prisma der praktisch permanent problematischen Beziehungen mit den staatlichen Nachbarn (Österreich-Ungarn, das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien), die sich im Laufe der letzten 150 Jahren an der östlichen Grenze abgewechselt haben, analysiert.

Diese Studie, welche die in Bern unterrichtende Historikerin angemessen mit einigen geographischen Karten versehen hat, ist weitaus mehr als eine «einfache» Diplomatiegeschichte. Das Ziel ist in der Tat ambitionierter. Anhand der Entwicklungen in den Gebieten, die für Jahrzehnte eine Sorgenquelle für verschiedene italienische Regierungen sowohl auf der Ebene der Innen- als auch der Aussenpolitik waren, soll der Niedergang der Idee des Vaterlandes analysiert werden. Das Referenzwerk, aus dem die Autorin Inspiration schöpft, ist der von Ernesto Galli della Loggia 1996 publizierte Aufsatz «La morte della patria. La crisi dell’idea di nazione tra Resistenza, antifascismo e Repubblica». Indem dieser den Analyserahmen auf die vielleicht dramatischste Periode der italienischen Geschichte, den Zeitraum 1943–1945, verengte, behauptete Galli della Loggia, dass die vernichtende Niederlage der italienischen Armee und die anschliessende Okkupation des Landes nicht nur die Niederlage des Faschismus darstellte, sondern auch der auf die italienische Einigung zurückgehenden Idee des Vaterlandes. Diese Entwicklung betraf nicht nur die italienische Halbinsel, sondern bezog ganz Europa mit ein und insbesondere diejenigen Länder, die im Krieg besiegt wurden. Der Zweite Weltkrieg brachte nach Galli della Loggia eine definitive Krise des europäischen Nationalstaates im Sinne des ursprünglichen Modells aus dem neunzehnten Jahrhundert sowie seiner Souveränität mit sich.

Wie Galli della Loggia 2003 anlässlich des 60. Jahrestags des 8. Septembers 1943 im Corriere della Sera schrieb, endete ein solcher Staat mit seinen Strukturen und Mythologien 1939. «Vor allem währten […] seine wichtigsten politischen Kulturen, die häufig eine mehr oder weniger national-nationalistische Ausrichtung annahmen.» Für Marina Cattaruzza waren die Vorzeichen dessen, was 1943 passieren würde, schon vor diesem Datum vorhanden. Die unterschiedlichen Regierungen, die einander nach 1866 gefolgt waren – aber insbesondere von 1920 an, als mit dem Abschluss des Vertrags von Rapallo Italien innerhalb der eigenen Grenzen starke kroatische und slowenische Minderheiten einverleibte –, hatten eine zwiespältige Beziehung zu diesen Gebieten und schafften es nur zum Teil, eine starke staatliche Autorität aufzuerlegen. Diese war nicht in der Lage, sichere Grenzen und die Entstehung eines starken nationalen ZusammengehoÅNrigkeitsgefühls zu gewährleisten. Wie Cattaruzza selbst schreibt: «Die Schwäche der Institutionen, der Hang zu Notlösungen und die Schwäche bezüglich der Kontrolle des Grenzgebietes werden die Konstanten sein, welche die Beziehung zwischen dem italienischen Staat und Julisch-Venetien bis einige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kennzeichnen werden» (S. 372–373). Um diese These zu belegen, hat Marina Cattaruzza einen chronologischen Zugang gewählt und die lange Untersuchungszeit– von 1866 bis 2006 – in neun Kapitel unterteilt. Die Kapitel I und II sind den Beziehungen zwischen der Zentralmacht und der irredentistischen Bewegung gewidmet, welche die Annexion der italienischsprachigen Minderheiten, die in den Gebieten unter österreichischer Souveränität lebten, forderte. Der Irredentismus, zu einer echten zivilen Religion aufgestiegen, wurde ein wichtiger Mosaikstein im «Nationalisierungsprozess» der Italiener. Dennoch, es fehlte nicht an zwiespältigen Haltungen von Seiten der Regierung, vor allem nach der Bildung des Dreibunds zwischen Italien, dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn. Doch obwohl sie die gewalttätigsten antiösterreichischen Manifestationen unterdrückten, distanzierten sich die italienischen Regierungen nie offen vom Irredentismus. Diese Bewegung forderte die «Wiedervereinigung mit den getrennten Brüdern», verweigerte aber gleichzeitig der slawischen Bevölkerung jegliche Eigenheit. Weder das liberale noch das faschistische Italien rechneten mit dem im Entstehen begriffenen slawischen Nationalgefühl (Kap. III–V), das sich nach dem Vertrag von London von 1915 empfindlich verstärkte, nachdem die Entente-Mächte Italien im Tausch für seine Kriegsteilnahme gegen die Mittelmächte wichtige Gebietsgewinne im Osten versprochen hatten.

Vor allem in Istrien formierten sich als Reaktion auf diesen Vertrag die ersten kroatischen und slowenischen nationalen Bewegungen. Roms territoriale Ambitionen prallten auf der Pariser Friedenskonferenz mit dem slawischen Nationalismus und der Feindseligkeit der Vereinigten Staaten von Amerika zusammen, die wenig Bereitschaft an den Tag legten, die Grossmachtbestrebungen Roms zu unterstützen. Die zum Teil enttäuschten Ambitionen Italiens – Rom bekam Julisch- Venetien und Istrien aber nicht Dalmatien – waren der Ursprung des Mythos über den «verstümmelten Sieg» (vittoria mutilata) den der Faschismus ge- und missbrauchte. Die Okkupation von Fiume (Rijeka) durch Gabriele D’Annunzio ist emblematisch für diesen durch starke nationalistische Gefühle gekennzeichneten Zeitabschnitt. Nicht zufällig fand der Faschismus ausgerechnet in dieser Region einen fruchtbaren Boden. Indem sie mit den extremistischsten antislawischen Bewegungen zusammenwuchsen, waren faschistische Banden der Grund für zahlreiche Vorfälle und Gewalttaten, da sie dank der Mitwisserschaft der italienischen militärischen Besatzungsbehörden praktisch ungestört agieren konnten. Es entstand eine Situation, die nach Cattaruzza symptomatisch für die Schwäche der Staats strukturen ist, die nicht in der Lage waren, die Staatsgewalt durchzusetzen. Diese Schwäche verstärkte sich nach Rapallo. Die gegenüber 400 000 Slowenen und 100 000 Kroaten betriebene Politik der gezwungenen Assimilation, die von der Regierung in Rom in den folgenden Jahren eingeleitet wurde, trug nur dazu bei, den slawischen Nationalismus zu verstärken, dessen extremste Anhänger für zahlreiche Attentate und Morde verantwortlich waren. Die schon vor dem Krieg angespannte Situation erfuhr eine dramatische Beschleunigung infolge der kriminellen Gewalt beider Seiten nach dem Ausbruch des Konflikts (Kap. VI–VII), als die militärischen Schwierigkeiten 1943 die «de facto» Auflösung der Autorität Roms über Julisch-Venetien und Dalmatien mit sich brachten. In diese Zeit fällt auch der erzwungene Exodus von Tausenden von Italienern, die Opfer einer ethnischen Säuberung von Seiten der kommunistischen Truppen nach den Befehlen von Marschall Tito wurden. Die letzten zwei Kapitel (VIII–IX) behandeln die Frage der neuen territorialen Ordnungen in der Nachkriegszeit. Dies wird insbesondere am Schicksal von Triest geschildert und in den sich total veränderten internationalen Kontext des Kalten Krieges gestellt. Die 1954 erfolgte Rückgabe der Stadt an Italien hatte, nach dem Verlust von Istrien und Dalmatien, Jubelrufe im ganzen Land zur Folge. Diese enthusiastischen Explosionen waren nach 1945 «vielleicht der einzige Fall von vorideologischer und vorpolitischer patriotischer Reaktion in Italien» (S. 326). Nach 1954 verschwand das Problem der östlichen Grenze und des Exodus aus der mental map der Italiener und wurde für Jahrzehnte auch von der Historiographie ignoriert. In der öffentlichen Meinung, vor allem der Linken, wurden die Vertriebenen mit Verdacht, wenn nicht mit Feindseligkeit betrachtet. Wie die Autorin schreibt, «war die Idee des Vaterlandes den Idealen und den Programmen der unterschiedlichen politischen Kräfte untergeordnet, von denen jede vorgab, ihr exklusiver und authentischer Interpret zu sein» (S. 326). Ein solcher Bruch in der politischen Kultur hatte tiefe Auswirkungen auf die Ereignisse in der Grenzregion. Dafür symptomatisch ist das grundlegende Desinteresse der öffentlichen Meinung für die laufenden Verhandlungen zwischen Rom und Belgrad in den 70er Jahren, die 1975 im Vertrag von Osimo mündeten, der definitiv die italienisch-jugoslawische Grenze festlegte. Die Verhandlungen seitens der italienischen Delegation wurden laut Marina Cattaruzza dilettantisch geführt: die internationale Agenda hatte Vorrang vor der Verteidigung der nationalen Interessen. Die östliche Grenze hatte nun aufgehört, die italienische Aussenpolitik zu bestimmen.

Zitierweise:
Pablo Crivelli: Rezension zu: Marina Cattaruzza: L’Italia e il confine orientale. 1866–1996. Bologna, Il Mulino, 2007. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 58 Nr. 2, 2008, 200 S. 240-242.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 58 Nr. 2, 2008, 200 S. 240-242.

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